
Eine unsichtbare Bedrohung wird sichtbar
In deutschen Städten bahnt sich ein unscheinbarer, aber gefährlicher Einwanderer seinen Weg: Die invasive Ameisenart Tapinoma magnum breitet sich in einem bislang unbekannten Tempo aus.
Was auf den ersten Blick wie ein lokales Schädlingsproblem aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Symptom eines weit größeren Zusammenhangs – dem Klimawandel und seinen ökologischen Folgen. Experten schlagen Alarm: Die wärmeliebende Ameise, ursprünglich im Mittelmeerraum beheimatet, findet mittlerweile auch in deutschen Städten ideale Lebensbedingungen vor – ein direktes Resultat steigender Temperaturen und veränderter Umweltbedingungen.
Biologie und Verhalten von Tapinoma magnum
Die Art Tapinoma magnum gehört zur Familie der Schuppenameisen und ist besonders für ihre Fähigkeit bekannt, sogenannte Superkolonien zu bilden – gewaltige Zusammenschlüsse mehrerer Ameisenvölker mit zahlreichen Königinnen, die sich über ganze Straßenzüge erstrecken können. Einzelne Arbeiterinnen sind nur etwa drei Millimeter groß, besitzen eine dunkle Färbung und verströmen beim Zerdrücken einen charakteristischen Geruch nach ranziger Butter.
Das besonders Gefährliche an dieser Art ist ihre Anpassungsfähigkeit. Sie bevorzugt warme, trockene Bedingungen, kann aber auch bei Temperaturen von bis zu -15 °C überleben. Dadurch ist sie in der Lage, in nördlichere Regionen vorzudringen – ein Phänomen, das noch vor wenigen Jahrzehnten undenkbar gewesen wäre. Die Nester befinden sich häufig unter Gehwegen, in Mauerspalten oder in technischen Anlagen. Der Standort ist flexibel – entscheidend ist lediglich ein gewisses Maß an Wärme und Schutz.
Auswirkungen auf Infrastruktur und Gesellschaft
Die Folgen der Ameiseninvasion reichen weit über lästige Gartenbesuche hinaus. In der Stadt Kehl beispielsweise, direkt an der Grenze zu Frankreich gelegen, mussten 2024 mehrere Spielplätze gesperrt werden. Die Ameisen hatten unter dem Sand des Spielplatzes ein riesiges Netz von Tunneln angelegt – eine Gefahr für spielende Kinder und eine massive Belastung für die Stadtverwaltung. „Wir stehen vor einem Problem, das wir mit den bisherigen Mitteln kaum noch in den Griff bekommen“, erklärte Kehls Bürgermeister Wolfram Britz gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Auch technische Anlagen sind betroffen. Die Tiere beißen sich durch Kabelisolationen, verursachen Kurzschlüsse oder Störungen in Strom- und Telekommunikationsleitungen. In Baden-Württemberg mussten bereits mehrfach Reparaturdienste ausrücken, um Schäden zu beheben, die auf das Wirken der kleinen Invasoren zurückzuführen sind. Für Privatpersonen können derartige Eingriffe schnell teuer werden – von der Neuverlegung eines Stromkabels bis zur Sanierung eines gepflasterten Hofes.
Klimawandel als Treiber der Ausbreitung
Warum breitet sich Tapinoma magnum gerade jetzt so massiv aus? Die Antwort liefert die Klimaforschung. Durch milde Winter und heiße, trockene Sommer entstehen ideale Bedingungen für wärmeliebende Arten. Laut dem Deutschen Wetterdienst ist die Durchschnittstemperatur in Deutschland seit Beginn der Wetteraufzeichnungen um 1,6 Grad Celsius gestiegen. Das begünstigt nicht nur das Überleben der Ameisen im Winter, sondern auch ihre Fortpflanzung und die Expansion ihrer Kolonien im Frühjahr.
Städte sind dabei besonders gefährdet. Durch den sogenannten Wärmeinseleffekt – eine lokale Erhöhung der Temperaturen in bebauten Gebieten – finden Arten wie Tapinoma magnum perfekte Bedingungen vor: wenig natürliche Feinde, zahlreiche Versteckmöglichkeiten, reichlich Nahrung. Die Urbanisierung beschleunigt also indirekt die Ausbreitung invasiver Arten.
Die Ameise Tapinoma magnum ist kein Einzelfall – vielmehr reiht sie sich in eine wachsende Liste invasiver Arten ein, die durch den Klimawandel begünstigt nach Deutschland gelangen. Ein prominentes Beispiel ist die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus), die ursprünglich aus Südostasien stammt. Sie hat sich in den letzten Jahren vor allem im Südwesten Deutschlands etabliert und ist nicht nur lästig, sondern auch potenzieller Überträger gefährlicher Viren wie Dengue oder Chikungunya.
Ebenfalls auf dem Vormarsch ist der Beifuß-Ambrosia (Ambrosia artemisiifolia), eine aus Nordamerika stammende Pflanze, deren extrem allergieauslösender Pollen immer mehr Menschen betrifft. Auch hier begünstigen höhere Temperaturen und veränderte Niederschlagsmuster die Verbreitung.
Weitere invasive Tierarten wie der Waschbär (Procyon lotor) oder der Marderhund (Nyctereutes procyonoides) zeigen, dass die Problematik nicht auf Insekten oder Pflanzen beschränkt ist. Beide Arten haben sich in deutschen Wäldern und Siedlungsgebieten ausgebreitet und gefährden heimische Tierarten sowie Ökosysteme durch Konkurrenz und Krankheitseintrag.
Diese Entwicklungen verdeutlichen: Der Klimawandel wirkt wie ein Türöffner für gebietsfremde Arten, die durch Handel, Verkehr und Tourismus ohnehin mobilisiert werden. Ohne präventive Maßnahmen drohen erhebliche ökologische, gesundheitliche und wirtschaftliche Schäden.
Bekämpfung mit begrenztem Erfolg
Der Kampf gegen die Ameisen erweist sich als schwierig. In Kehl etwa wurde der Einsatz von Heißwassergeräten getestet. Dabei wird heißes Wasser mit hohem Druck direkt in die Nester geleitet, um die Tiere abzutöten. Diese Methode ist umweltfreundlich, aber logistisch aufwendig und wenig nachhaltig – denn sobald auch nur ein Teil des Nestes überlebt, regeneriert sich die Kolonie binnen weniger Wochen.
Chemische Insektizide haben ebenfalls nur begrenzte Wirkung. Aufgrund der Größe und Struktur der Superkolonien erreicht das Gift oft nicht die Königinnen, wodurch das Volk langfristig überlebt. Zudem besteht die Gefahr, dass sich Resistenzen entwickeln oder andere Insektenarten – darunter auch nützliche – durch die Mittel geschädigt werden.
„Wir können momentan nur Schadensbegrenzung betreiben“, sagt Dr. Maria Kirsch, Entomologin am Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart. „Eine vollständige Ausrottung ist kaum möglich. Ziel muss es sein, die Ausbreitung zu verlangsamen und Hotspots frühzeitig zu erkennen.“
Forschung und politische Reaktionen
Wissenschaftler fordern bereits seit Jahren eine nationale Strategie gegen invasive Arten. Dr. Kirsch leitet das „Tapinoma-Projekt“ in Stuttgart – eine interdisziplinäre Initiative, die sich der Untersuchung und Kartierung der Ausbreitung widmet. Mithilfe von Bürgerwissenschaft und KI-gestützter Auswertung von Meldedaten wird versucht, das Verhalten und die Ausbreitungswege der Ameisen zu verstehen. Erste Ergebnisse zeigen: Der Süden Deutschlands ist besonders betroffen, aber auch in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz gibt es zunehmende Sichtungen.
Auf politischer Ebene gibt es hingegen noch großen Nachholbedarf. Während einige invasive Arten wie der Asiatische Laubholzbockkäfer oder die Tigermücke auf EU-Ebene gelistet sind, fehlt Tapinoma magnum bislang auf vielen nationalen Warnlisten. Das erschwert koordinierte Bekämpfungsmaßnahmen und die Beantragung von Fördermitteln für Kommunen.
Die EU-Biodiversitätsstrategie 2030 fordert zwar Maßnahmen zur Kontrolle invasiver Arten, doch in der Praxis mangelt es vielerorts an Ressourcen, Personal und Rechtsgrundlagen. Gerade kleine Gemeinden sind mit der Problematik überfordert – nicht zuletzt, weil es sich bei Ameiseninvasionen um ein Phänomen handelt, das viele Verantwortliche noch immer unterschätzen.
Was jetzt zu tun ist
Der Umgang mit Tapinoma magnum ist beispielhaft für die Herausforderungen, die der Klimawandel für unsere Ökosysteme mit sich bringt. Ein Umdenken ist dringend notwendig – sowohl in der Wahrnehmung des Problems als auch in der politischen Umsetzung. Experten fordern unter anderem:
- die Aufnahme invasiver Ameisenarten in nationale und europäische Artenwarnlisten,
- die Entwicklung standardisierter Bekämpfungsverfahren,
- mehr Forschung zu biologischen und ökologischen Gegenmaßnahmen,
- eine enge Zusammenarbeit zwischen Kommunen, Wissenschaft und Bevölkerung.
Auch Bürgerinnen und Bürger können helfen: Wer ungewöhnlich viele Ameisen im Garten, an Hausfassaden oder auf Spielplätzen beobachtet, sollte die örtlichen Behörden informieren oder eine Meldung bei entomologischen Projekten einreichen. Je schneller ein Befall erkannt wird, desto eher lassen sich größere Schäden vermeiden.
Fazit
Die Ameisenart Tapinoma magnum ist mehr als nur ein lokales Ärgernis. Sie steht exemplarisch für die komplexen Wechselwirkungen zwischen Klimawandel, Urbanisierung und Artenmigration. Ihre rasante Ausbreitung zeigt, wie dringend wirksame Strategien im Umgang mit invasiven Arten gebraucht werden – und wie tiefgreifend ökologische Veränderungen inzwischen auch in unseren Alltag eingreifen. Nur mit einem Zusammenspiel aus Forschung, Politik und Gesellschaft lässt sich dieser stillen Bedrohung begegnen, bevor sie sich flächendeckend etabliert.